efm

Pakistan im Spiegel seiner Gegenwartsliteratur

Montag, 08.02. 2021, dieser Abend zeigte einmal mehr, wie sehr wir darauf angewiesen sind, den mehr oder weniger angestaubten Spiegel zu putzen, wenn wir unseren Blick auf das Herz eines fernen Landes richten, und es am besten gleich in mehreren Spiegeln zu betrachten.

Die bewährte Gesprächsatmosphäre des Abends ermöglichte den erweiterten Blick zum Glück auch im Online-Format, dem Eis und Schnee nichts anhaben konnten. 

Nach einer kundigen Einführung durch Christine Bertels von der VHS gaben Prof. Abboud und Georg Schaaf zunächst Auskunft über ihre Länderwahl und damit über ganz unterschiedliche „Wege nachPakistan“: der eine über die Vergleichende Literaturwissenschaft und Arabische Komparatistik sowie den in Deutschland promovierten Universal-Gelehrten und Goethe-Verehrer Mohammed Iqbal, der andere über das Pakistan-Bild in den Medien und über die beliebte und umstrittene Fernseh-Serie „Burka Avanger“ sowie Malalas Schicksal. 

Für alle, die in Pakistan ein Rückzugsgebiet für Terroristen sehen und die von seiner wechselhaften und von Kriegen und Protesten begleitete Geschichte irritiert sind, bietet der Blick in die Literatur der vergangenen Jahrzehnte ein völlig anderes Bild: 

• Ein „altes“ und „junges“ Land, dessen faszinierende und vielfältige Literatur und Kultur viele Jahrhunderte zurückreicht.

• Ein Land, dessen bis heute gemeinsam gesprochene Sprache Hindi und Urdu (verbindende Alltagssprache: Hindustani) sich mit der Gründungs-Entscheidung, sie sowohl in der Devanagari-Schrift als auch in arabisch-persischer Schrift zu schreiben, inzwischen stark ausdifferenziert hat.

• Ein Land, dessen Dichter:innen auch in Englisch und Sindhi schreiben und dessen Menschen durch ihre Mehrsprachigkeit einander verbunden bleiben.

Die für diesen Abend ausgewählten Gedichte wurden jeweils in Deutsch und im Originalton vorgetragen – die ersten, von Mohammed Iqbal, dem „geistigen Vater“ Pakistans, aus dem Persischen übersetzt von Annemarie Schimmel, thematisieren das Menschsein, seine Sinnsuche und Identität: 

Nach diesem Punkt darfst du nicht Bücher fragen:
Nur Fieberglut kann neues Leben bringen,
Nur Fieberflut gibt deinem Leben Schwingen!“

und:

Ich bin erst Mensch, ganz ohne Duft und Farbe;
Erst dann werd ich ein Inder, ein Turane.“

Dagegen, zwei Generationen später, kritisiert Harris Khalique, geb. 1966, Dichter und Aktivist, seit 2019 auch Generalsekretär der pakistanischen Menschenrechts-Kommission, mit scharfem Spott den Militarismus seines Landes (übersetzt aus dem Englischen von Klaus Beer) und stellt damit die Frage nach den aktuellen Möglichkeiten für eine demokratische Entwicklung und – mit Blick auf das reiche kulturelle Erbe – erneut die Frage nach dem Menschsein:

in: „Eine kurze Geschichte Pakistans“

Mit ihren Rucksäcken voller Seichtheit
kommen die Männer in Uniform
befehligt von Generälen aus Blech
Gesetzgebern aus Stroh.“

In seinem Gedicht „Freitagsgebete“ (übersetzt aus dem Englischen von Martin Pfeiffer) wird seine Kritik zur tiefen Trauer, er bezieht sich konkret auf das Bomben-Attentat in der Hyderi-Moschee am 07.Mai 2004: 

In der sechsten Reihe der Gläubigen
zerfetzt das Land,
nicht einmal, sondern immer.“

Die vier Strophen dieses Gedichts sind einerseits nüchtern beschreibend und dennoch heftig klagend und anklagend – auch hier klingt wieder Mohamed Iqbals Stimme im Hintergrund:

die Zukunft wird verstümmelt,
der Elan wird lebendig begraben.“

Ganz anders und doch ebenso engagiert dichtet Attiya Dawood, geb. 1958, in Sindhi aus feministischer Sicht in ihrem Gedicht „Der schmale Steg der Ehre“ (übersetzt von Annemarie Schimmel, hier von Daniela Danz):

Sie stritten darüber, ob ich ein Mensch sei oder keiner.
Schließlich war ich ein halber
und darauf gründeten sie das Gesetz.“

und weiter:

Auf den Totenschädeln meiner Gedanken, Wünsche
und Gefühle errichten sie die Gesellschaft.“

In ihrem Gedicht „Ich kenne die Liebe“ (aus dem Sindhi übersetzt von Andreas Altmann) kritisiert sie vehement die Macht dieser Männergesellschaft und der Traditionen, die Frauen und Mädchen in allen Bereichen des Lebens begrenzen, entfremden. 

Von den Decken rieseln die Farben
alter Traditionen, die mich vergiften.

Hier finde ich kein Zuhause.“

Daran schließt sich nahtlos Malala Yousafzais Zitat aus ihrer Rede am 20. Juli 2013 vor der UN an, die sie knapp 9 Monate nach dem Attentat gehalten hat. Sie ist die jüngste Friedensnobelpreisträgerin und seit 2017 Friedensbotschafterin der UN:

Ein Kind, ein Lehrer, ein Buch und ein Stift können die Welt verändern.“

Sie spricht für ein Pakistan der Zukunft – wie alle Autor:innen, die wir an diesem Abend gehört haben. Ein großes DANKE an das Team von ArDeLit für diese Auswahl!