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Archiv 2019

Workshop im Friedenskulturmonat 2019

 Alte Heimat verlieren – neue finden

Am 26. September fand unter diesem Motto im Rahmen des Friedenskulturmonats im Paul-Gerhardt-Haus an der Erlöserkirche ein Workshop statt. Dieter Schäfer und Bettina Tietze hatten als Mitglieder der Galiziendeutschen Gemeinschaft 12 Roll-ups mitgebracht, auf denen sie in Form einer Ausstellung die wichtigsten Phasen und Aspekte der Umsiedlungen aus der polnisch-ukrainisch-rumänischen Grenzregion 1939 präsentierten.

Wie sich in der Vorstellungsrunde zeigte, ging es allen Teilnehmer:innen um die achtsame und wertschätzende Beschäftigung mit eigenen Erinnerungen, Erfahrungen, Assoziationen und Empfindungen, die durch diese Exponate und deren Erläuterungen ausgelöst wurden.

Nach der Mittagspause wurde anhand vorgelegter Dokumente und eines Referats von Daniel Gollmann vom Verband der deutschen Kriegsgräberfürsorge zu einem Schulprojekt, folgende Themen diskutiert:

Umgang mit Mythen

Analog zum Vertrag von Versailles, der durch die „Dolchstoßlegende“ für nationalistische Deutsche zum kriegsbegünstigenden Mythos wurde, erörterten die Teilnehmenden die Rolle sozialer Medien bei der Verbreitung moderner Mythen in Gestalt von Parolen und Stereotypen („Überfremdung“). 

Umgang mit Macht und Ohnmacht

Am Beispiel der baltischen Länder, aber auch Polens, als der ersten Okkupations-Opfer des „Hitler-Stalin-Pakts“ und am Beispiel von „fridays for future“ wurde diskutiert, wie Einzelne oder Gruppen ermutigt werden können, aus der Opferrolle herauszukommen. 

Umgang mit Konflikt und Versöhnung

An dem Extrembeispiel der beiden Erzfeinde Hitler und Stalin, die sich zum Zweck der Aufteilung Europas verbündeten, wurde diskutiert, wann der Zweck die Mittel heiligt oder wann es die berühmte „rote Linie“ gibt.

Umgang mit Entscheidung und Manipulation

Am Beispiel der Umsiedlungen und ihrer Organisation wurde diskutiert, inwieweit Entscheidungen im Leben frei getroffen werden, obwohl sie bestimmten Einflüssen unterliegen.

Der Workshop endete mit einer ausführlichen Feedback-Runde, die – ähnlich der Vorstellungsrunde – genügend Raum zur Selbstreflexion und zur Einordnung des Erlebten bot und die Teilnehmenden zu weiterführenden Gedanken anregte.

1. Halbjahr 2019:

Angesichts des Ev. Kirchentages in Dortmund steht das Jahr unter dem Motto „Religion im Alltag“.

Entfaltet werden die unterschiedlichen Aspekte und Facetten dieses Jahresthemas:

Im ersten Halbjahr geht es um religiöse Rituale bei Jugendlichen, Spiritualität am Lebensende, Religion und Politik, Religiosität im Pfarramt, Religion im digitalen Zeitalter. Einzelheiten entnehmen Sie bitte unserem Flyer Religion im Alltag

Außerdem steht in Kooperation mit der Villa ten Hompel dieWeimarer Verfassung von 1919 im Mittelpunkt, deren Aussagen zum Verhältnis von Kirche und Staat auch gegenwärtiges Handeln prägen. Weiter Informationen finden Sie hier:

Treffen in Telgte

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Zum einen lädt der bekannte Wallfahrtsort mit seinen idyllischen Gässchen – der auch literaturgeschichtlich zu einer gewissen Berühmtheit gelangte – zum Erinnerungs- und Erfahrungsaustausch in gemütlicher Atmosphäre ein. Zum anderen bietet das Museum mit seiner Dauerausstellung zur Religiosität in Alltagsbräuchen und der aktuellen Sonderausstellung mit Werken des Münsteraner Bildhauers und Malers Rudolf Breilmann eine Fülle an Anknüpfungsmöglichkeiten zu eigenen Erinnerungen und Erfahrungen. Insbesondere die Exponate der Sonderausstellung „Inspiration Schöpfung“, die Breilmanns spirituelle Eindrücke von Landschaften und Menschen, seine tief empfundenen Liebe zur Schöpfung zum Ausdruck bringt, beeindruckt die Besucher durch die Klarheit und Intensität einer berührenden Reduktion auf das Wesentliche.

Im anschließenden Gespräch mit der Zeitzeugin Ursula Reschkeund ihren detaillierten und differenzierten Erinnerungen an Kindheit und Jugend im Ruhrgebiet und Münsterland wurden auch bei den übrigen Teilnehmenden persönliche Bilder lebendig, die deutlich machen, dass Spiritualität und Religiosität im Alltag oft erst im Nachhinein erkennbar werden und – wenn auch in der aktuellen Situation nicht bewusst – tatsächlich über Kontingenz- und Krisenerfahrungen auch traumatischer Art hinweghelfen. Sie bilden Identität und Charakter, prägen das Zusammenleben und wirken – wie die künstlerische Originalität – inspirierend und befreiend.

Der Austausch darüber soll nach der Sommerpause in Workshops und einer Konferenz erweitert und vertieft werden. 

Die Münsteraner Friedens-Initiativen – darunter das Ev. Forum – organisieren im September ein vielfältiges Angebot, das Gelegenheiten schafft, über Religiosität, Kunst und gesellschaftlichen Zusammenhalt nachzudenken, Erfahrungen und eigenes Wissen zu teilen – und Gemeinschaft zu erleben.

Religion und Politik

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Wie passt das zusammen?

Für den Kirchenrat i. R. Rolf Krebs, von 2004 bis 2013 beauftragt, für die drei Landeskirchen im Ev. Büro NRW (damals am Rathausufer 23) – zwischen Landtag und Altstadt – in Düsseldorf als Verbindungsmann zwischen Religion und Politik zu wirken, ist die Ambivalenz der Antworten auf diese Frage 9 Jahre lang pastorale, theologische und seelsorgerliche Praxis gewesen. Sein Auftrag dort: „In Verantwortung vor Gott und den Menschen“ in empathisch-kritischer Distanz einerseits und mit Diplomatie, Kompromissen und konstruktiver Kritik andererseits Gesetzgebungsprozesse und politische Entscheidungen zu begleiten und – wenn nötig – Grenzen aufzuzeigen und zu (be)wahren. Ja, Religion ist politisch und Politik ist religiös, denn jeder Mensch hat einen Werte-Hintergrund und – mehr oder weniger reflektiert – Spiritualität, und dieses Menschsein lässt sich nicht aufteilen in „privat“ und „öffentlich“.

Wie religiös und wie politisch, das ist jedoch immer wieder neu auszuhandeln und zu diskutieren, ob es nun um ein Gedenken an Tsunami-Opfer geht oder um Richtlinien für den Religionsunterricht an Schulen, um den arbeitsfreien Sonntag oder um die Bildungsarbeit in Kindertageseinrichtungen. 

Seit 1961 gibt es das Ev. Büro in Düsseldorf, und seine jeweiligen Beauftragten haben in besonderer Weise „Lobby“-Arbeit zu leisten, wenn sie die monatlichen ökumenischen Andachten abhalten, mit allen Parteien – auch und gerade außerhalb der Dienstzeit, vielleicht bei einem Glas Wein – im Gespräch bleiben und auch für die Mitarbeiter ein offenes Ohr haben. Zum Beispiel nach einer Wahlniederlage, wenn nicht Feiern, sondern Trösten angesagt ist, weil plötzlich Arbeitsplätze wegbrechen. Aber nicht nur bei Schicksalsschlägen oder Gewissensnöten ist ein seelsorgerliches Gespräch nötig und hilfreich. Rolf Krebs, der zunächst Pfarrer in Gronau war, dann Superintendent und schließlich Kirchenrat, konnte aus seinem reichen Erfahrungsschatz äußerst kurzweilig, aber auch nachdenklich stimmend, eindrückliche Beispiele vortragen, die seine Zuhörer*innen durch Nachfragen in ihrer Tragweite und Bedeutung darauf verwiesen, „dass der Mensch nicht allein das Maß aller Dinge ist, dass es etwas gibt, was über unsere eigene Existenz und über unsere Beschränktheit hinausweist, was uns Demut lehrt, die wir uns in unserem Tun immer wieder bewusst machen sollten.“1

Für Rolf Krebs eine Selbstverständlichkeit, diesen Auftrag anzunehmen und abschließend für die Zukunft zu formulieren: Einfluss nehmen – je nach unseren Möglichkeiten handeln, sich einsetzen, einmischen! Das Ev. Forum Münster dankt ihm für diesen Abend, entspricht doch seine Grundhaltung dem Ziel des Forums: Im Gespräch bleiben– auch und gerade mit Menschen, die sonst nicht zusammenkommen und miteinander sprechen würden.

1 ebda. S. 28f. (Sylvia Löhrmann)

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Was bringt ein digitaler Sabbat oder ein Gebet mit Freunden im Internet?

Wie gehen wir grundsätzlich um mit den Angeboten und Möglichkeiten digitaler Technik? 

Prof. Grethlein erinnerte einleitend an den Siegeszug medialer Innovationen, der bereits 1887 mit derEntdeckung der elektromagnetischen Wellen begann und seitdem drei Menschheits-Träume wahr werden lässt: Die Überwindung der Grenzen von Raum und Zeit, die Optimierung der Wahrnehmung, die Verbesserung der materiellen Versorgung – und damit die Träume von Allgegenwart, Allmacht und grenzenloser Freiheit.

Es sind damit für einen Teil der Menschheit kulturgeschichtlich lang ersehnte Träume Wirklichkeit geworden, vor allem der nach Freiheit. Für die nicht am technischen Fortschritt Teilhabenden und für viele Skeptiker und Kritiker – darunter auch derGoogle-Executive-Chairman Eric Schmidtund sein Mitarbeiter Jared Cohen– sind damit nicht nur Chancen verbunden (wie die von Nähe und Sozialität durch globale Kommunikation), sondern große Risiken – nicht zuletzt wegen der unüberschaubare Komplexität der Realität und der damit verbunden Ängste und Polarisierungen –, vor allem der Verlust von Freiheit und die Gefahr von Cyberkriegen. 

Dr. Grethlein, lehrt an der Ev. Fakultät in Münster als Professor für Praktische Theologie und erforscht seit vielen Jahren zusammen mit seinen Münsteraner und internationalen Doktorand*innen die Entwicklung religiöser Praktiken in der digitalen Welt. Er ist auf akademischer, kirchlicher und gesellschaftlicher Ebene um eine umfassend differenzierte und zukunftsorientierte Sicht bemüht, die den weiten Bogen zu spannen vermag von der Theologie zur Technik.

So warb er für die Möglichkeiten, im Internet das Priestertum aller Gläubigen zu realisieren, indem interkulturelle Gebete und Rituale möglich werden – und damit das wesentlichste protestantische Anliegen: oikumene. Die Kombination digitaler und analoger Realität im Sinne einer „Zwei-Reiche-Lehre“ biete aus protestantischer Sicht viele Chancen, die es verantwortungsvoll für die umfassende, inklusive lebenswelt- und zielgruppenorientierte Kommunikation des Evangeliums zu nutzen gelte. Dass sich durch die Verbindung lokaler und globaler Strukturen Organisationsformen von Kirchen und Gemeinden ändern müssten, sei aus partizipatorischen Gründen nicht nur zu akzeptieren, sondern ausdrücklich zu begrüßen, zumal Kirche die einzige von Anfang an globalisierte Institution darstelle. Dadurch werde eine ganz neue Form von weltweiter Ökumene und Interkulturalität durch Vernetzung, eine Erneuerung des Gemeindelebens und des Gottesdienstes möglich („fresh expressions of church“), erläuterte Grethlein am Beispiel der zentralen Bedeutung der Predigt für den evangelischen Gottesdienst, die auf einer etwa 15ojährigen Organisationsform der Gemeinden in Europa beruhe (und nicht aus der Reformation entstanden).

So werden auch Abendmahlfeiern z. B. mit Avataren (d. h. mit intelligenter Software zur Kommunikation in natürlicher Sprache) und digitale Rituale in pneumatologischer Perspektive möglich, solange sie dem Anspruch an Lebensdienlichkeit und Relevanz gerecht werden und in einen ethischen Diskurs – auch über ökologische Aspekte (z. B. fairphone, nachhaltiger Umgang mir Ressourcen) – eingebunden sind. 

Ebenso ist es für Prof. Grethlein selbstverständlich, im Sinne von Achtsamkeit den sinnvollen spirituellen Umgang mit diesen Möglichkeiten zu lernen und einerseits z. B. die digitalen (YouTube-)Angebote zum Vaterunser auf keinen Fall – wie bislang zu sehen – salafistischen Interpreten zu überlassen, oder andererseits, wie an der oft nebensächlich gewordenen Nahrungsaufnahme während des Surfens deutlich wird, Selbstwahrnehmung und -disziplin zu üben. Daher war sein Plädoyer für den digitalen Sabbat – eine Idee des Journalisten und Medienforschers Powers– naheliegend und auch diese Anregung wurde von den Anwesenden aufgeschlossen und nachdenklich aufgenommen.

Pfarrer*in – ein Beruf mit Zukunft?

Diese Frage wurde am dritten Abend der Wissenschaft-im-Gespräch-Reihe „Religion im Alltag“ des Ev. Forums zwar nicht diskutiert, aber die Antwort liegt nahe, wenn wir uns klarmachen, dass der derzeitige Trend zur „fortschreitenden Pluralisierung des Christlichen“ gekennzeichnet ist– so Prof. Dahm – Emeritus für christliche Gesellschaftswissenschaften der Theologischen Fakultät Münster, der zusammen mit Pfarrer Dr. Nooke (Roxel) Referent und Impulsgeber dieses Abends war. Über Rollenerwartungen und Dienstanweisungen wird heute ebenso diskutiert wie über die Entwicklung neuer Formen des Gemeindelebens: Nicht nur angesichts von Kirchenaustritten und Skandalen, sondern auch, weil es in jeder Gemeinde eine Vielfalt von Glaubensformen, Spiritualität und Frömmigkeit auch bei den Pfarrer*innen gibt. Das war nicht immer so. 

Ein Beruf im Wandel also – ein Beruf mit Zukunft und für die Zukunft? 

Der Blick in die Geschichte zeigt: Erst in den 1970ern entwickelte sich das traditionelle Rollenverständnis des Pfarrers hin zu einer vielfältigen Ausdifferenzierung in Theorie und Praxis. So werden z. B. zukünftig etwa 70% aller Pfarrer*innen in Deutschland weiblich sein – bis heute undenkbar in vielen anderen Ländern Europas.

Wie gravierend dieser Wandel ist, zeigt der Blick noch weiter zurück in die Geschichte der Aufklärung, den Pfarrer Nooke am Beispiel eines Romans von 1823 vorstellte: „Das erste Amtsjahr des Pfarrers von S. in Auszügen aus seinem Tagebuch: Eine Pastoraltheologie in der Form einer Geschichte…“ von Gottlieb Jakob Planck – Theologe und Kirchenhistoriker, Professor in Stuttgart und Göttingen – und Urgroßvater des Physikers Max Planck. Er zeichnete ein Idealbild des Pfarrers, der sich – aus Berufung durch Gott – als Lehrer und Erzieher, Sozialreformer (durch Wohlwollen, Liebe, Mitfreude) versteht und zugleich als Theologe und Gelehrter wirkt, der auch unter schwierigsten Umständen sein Amt in Würde ausübt und in seiner Gemeinde als Basis für ein christliches Lebenden Sinn für Gutes und Schönes heranbildet. 

Auch heute fragen wir wieder nach der Basis für ein christliches Leben – wie kann die Kirche bestehen angesichts der Diversität der christlichen Institutionen und angesichts einer säkularisierten Welt? Worin liegt die Kraft des Evangeliums? 

Der Abend zeigte, dass die Antwort darauf nicht in Rezeptbüchern zu finden ist, sondern zuweilen in Romanen oder im Alltag.

Religion am Lebensende – ars moriendi im 21. Jahrhundert?

Die beiden Impulsvorträge des zweiten Gesprächsabends der Reihe „Religion im Alltag“ nahmen rechtliche, medizinische und alltagspraktische Aspekte der Gestaltung des Lebensendes in den Blick. 

Im Konferenzraum des Ev. Krankenhauses an der Wichernstraße hatte sich am 15. Februar eine große Runde aufmerksamer Zuhörerinnen und Zuhörer eingefunden, die zunächst den Ausführungen von Prof. Roser (Ev. Fakultät der WWU Münster) zur Rolle der Kirchen im Verhältnis zur Justiz folgten und im anschließenden Gespräch auch problematisierende Fragen beantwortet bekamen und unterschiedliche Positionen verdeutlichten: Macht es überhaupt Sinn, eine Patientenverfügung zu schreiben, wenn ich im Ernstfall „Notarzt“ noch nicht einmal darüber bestimmen kann, in welches Krankenhaus ich gebracht werde? Gibt es ein Recht auf Sterben zu einem bestimmten Zeitpunkt? Welche Kriterien gelten für „noch erträglich“ wenn es um „Lebensqualität“ geht? 

Zum Glück lässt es sich nicht vorschreiben, was als „erträglich“ oder gar als „christlich“ gilt und und was nicht, denn dies wird in einem je eigenen Werte-Anamnese-Formular erfragt oder – am besten – vorher schriftlich erklärt. Prof. Roser erläuterte den derzeitigen palliativmedizinischen G3-Standard und hob die zentrale Rolle der ethischen Fallbesprechungen hervor, die es inzwischen in jedem Krankenhauses gibt. Und ja, natürlich macht es Sinn, eine Patientenverfügung zu haben, da ich darin auch verfügen kann, in ein Krankenhaus mit Palliativstation gebracht zu werden.

Im zweiten Teil des Abends stellte Pfarrer Groll präzise fokussiert drei Aspekte seiner Arbeit als Krankenaus-Seelsorger und Supervisor vor und es entstand bald ein lebendiges Gespräch über den Umgang mit existenziellen Kontingenzerfahrungen, über hilfreiche Rituale und Ressourcen in der Sterbebegleitung sowie die Rolle der Ethik. Warum Ich? Jetzt? Stirbt es sich leichter, wenn man glaubt? Wie können wir (vor allem latente) Altersdiskriminierung aus unserem Alltag verbannen? Unsere ethische Grundhaltung ist es, die uns Eigendynamiken erkennen und unterbrechen lässt – wie gut, wenn wir diese reflektiert und in unserem Alltag erprobt haben. Ebenso, wenn wir spirituelle Rituale gelernt, geübt haben – auf „Vorrat“ gewissermaßen unsere „Tankstellen“ finden und pflegen. Sehr oft sind diese Rituale erst wieder zu entdecken, die früheren Generationen selbstverständlich zur Verfügung standen, wie z. B. ein Lied, ein Bibelvers, ein kurzes Gebet, das Kreuzzeichen auf der Stirn zum Abschied oder eine Segensgeste des Sterbenden zu den Angehörigen. Es gilt, im Sinne einer „Sterbe-Kunst“, Rituale zu finden, die dem Menschen und seiner Kultur angemessen sind und manchmal sogar wechselseitig gespendet werden.

Wie uns die Alten sungen?

Jugendliche brauchen neue Rituale mit Bezug zu ihrer Lebenssituation…

…und ein lebendiges Gemeindeleben, d. h. eine Gemeinde, die sie willkommen heißt – so Thomas Böhme, stellv. Direktor des Comenius-Instituts.

Im kleinen Kreis startete am 21. Januar 2019 die Gesprächsreihe „Religion im Alltag“ im Comenius-Institut an der Schreiberstraße. Beide Referenten dieses Abends stellten in ihren Vorträgen die Situation der Jugendlichen in den Gemeinden anhand von Studien vor und berichteten von ihren Erfahrungen in der Jugend- und Gemeinde-Arbeit. Das Ergebnis ist und bleibt einerseits sehr ernüchternd: 82% der KonfirmandInnen wollten nach ihrer Konfirmation nichts mehr mit Kirche zu tun haben. Thomas Böhme hatte differenzierte Auswertungen parat, die auch belegen, dass drei Viertel der Jugendlichen erklärten, die Kirche sei wichtig, und zwei Drittel, der Glaube an Gott sei wichtig. So ist es andererseits ermutigend zu erfahren, dass sich Brücken bauen lassen zu den Jugendlichen, so Thomas Dreessen, der zweite Referent des Abends, von Haus aus Theologe und Sozialwissenschaftler beim Amt für Jugendarbeit der Westfälischen Landeskirche. Voraussetzung dafür sei eine Gemeinde, in der sich verschiedene Altersgruppen und Milieus begegnen, in der nicht die Tradition, sondern menschliche Zuwendung im Mittelpunkt steht, in der es Aufgaben für Jugendliche gibt, Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung und Anerkennung. Eine Gemeinde, in der z. B. neue Formen des Gottesdienstes ebenso wie die Gestaltung des Konfi-Unterrichtes möglich sind, in der Vielfalt angestrebt und gelebt wird, so dass zugleich das Bewährte und für die älteren Gemeindeglieder Gewohnte gepflegt werden kann. 

Ein Abend wie dieser zeigt, wie nötig das Brücken-Bauen ist, wenn die alten, eingefahrenen Wege immer wieder an den Brückenpfeilern vorbei laufen. 

Wie gut, dass es energische Bemühungen und gute Beispiele gibt, wie es doch gelingen kann.